Folgen und Umgang mit dem Rückstau an elektiven Eingriffen

Autoren: K. Klussmann, M. Seeling, E. Bialas, J. Vitzthum
Die Warteliste der aufgeschobenen Krankenhauseingriffe wird das Gesundheitswesen vor vergleichbare Herausforderungen stellen wie die COVID-19 Pandemie selbst.
Zusammenfassung:
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Krankenhäuser am 13. März 2020 aufgefordert, planbare Eingriffe – soweit medizinisch vertretbar – zu verschieben, um Kapazitäten für COVID-19 Patienten zu schaffen. Bislang fehlen öffentlich zugängliche Modellierungen zu den Auswirkungen dieser Maßnahme auf zukünftige Kapazitätsbedarfe. Die Autoren möchten unter Verwendung vorhandener Daten und einfacher Annahmen einen Beitrag zur Diskussion leisten und damit die Vorbereitung auf die nächste Phase in der Bewältigung der aktuellen Pandemie unterstützen.
Nach ersten Schätzungen wurde die Maßnahme durch die Krankenhäuser umgesetzt: Die Anzahl der Operationen lag in einer durchgeführten Stichprobe in den letzten beiden März-Wochen 2020 um etwa 50 % unter dem Mittelwert der Jahre 2017 – 2019. Hochgerechnet auf Deutschland werden pro Woche ca. 70.000 operative Eingriffe in Krankenhäusern verschoben, sofern die Maßnahme von allen Krankenhäusern gleichermaßen umgesetzt wird.
Nimmt man weiter an, dass
  • pro Woche 3 % aller Patienten auf der Warteliste akut behandelt werden, weil sich ihr Zustand soweit verschlechtert hat das der Eingriff nicht weiter aufgeschoben werden kann,
  • pro Woche 0,5 % der Patienten auf der Warteliste aus der Versorgung ausscheiden, weil ihre Behandlung nicht mehr erforderlich ist und
  • die Krankenhäuser nach Wiederaufnahme des Elektivprogramms die Anzahl der OPs pro Woche um 10 % steigern können, um die Warteliste abzuarbeiten,
zeigt sich, dass bereits nach 4 Wochen (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels) bei einer kompletten und sofortigen Umsetzung der Vorgaben von einer Warteliste von knapp 265.000 Eingriffen ausgegangen werden kann. Der Abbau dieser Warteliste würde − ceteris paribus − mehr als vier Monate benötigen. Bis dahin wären ca. 93.000 ursprünglich elektive Patienten wegen Verschlechterung ihres Zustandes akut behandelt worden.
Je länger elektive Eingriffe ausgesetzt werden, desto stärker wird das Gesundheitswesen zu einem späteren Zeitpunkt belastet. Bei einer Unterbrechung des Elektivprogramms um 6 Monate würde sich daher – nach oben genannten Annahmen – eine Warteliste von mehr als 1,2 Mio. Patienten anstauen. Der Abbau dieser Warteliste würde ca. 1,5 Jahre dauern, in denen ein Großteil der wartenden Patienten regelmäßig überwacht werden müssten, um akut werdende Fälle rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Das Hauptziel der Aussetzung des Elektivprogramms besteht darin, Behandlungskapazitäten, insbesondere Intensivkapazitäten und Beatmungsplätze, für COVID-19 Patienten mit schweren und kritischen Verläufen frei zu halten.
Dies kann nach Einschätzung der Autoren gelingen ohne das planbare Operationen vollständig ausgesetzt werden. Durch Maßnahmen der Ambulantisierung, Remotisierung und Pfadoptimierung könnten Patienten ressourcenschonender und auf niedrigeren Versorgungsstufen behandelt werden. So könnte ein Teil der geplanten Operationen weiterhin erfolgen und damit der Rückstau an verschobenen Eingriffen begrenzt werden, ohne die Versorgung der COVID-19 Patienten zu gefährden. Gleichzeitig sehen die Autoren Möglichkeiten, durch diese Maßnahmen den Durchfluss in den Krankenhäusern zu erhöhen und die OP-Zahlen in der vorhandenen Struktur um 10 % zu steigern. Dieses Potential kann genutzt werden, um die Warteliste parallel zum wiederstartenden Elektivgeschäft abzubauen.
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